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In diesem Jahr erlebe ich ein ganz besonderes Jubiläum, denn im Jahr 2000 stellte man fest, dass ich Zöliakie habe. Gerne erzähle ich euch von meinen Erfahrungen vor und nach der Diagnose, denn während der vergangenen 20 Jahre hat sich viel getan im Bereich der glutenfreien Ernährung und im täglichen Leben von Zöliakiebetroffenen.

Beim Plätzchenbacken mit 7 Jahren

Die Diagnose Zöliakie erhielt ich damals im Alter von 22 Jahren, aber die Symptome stellten sich bei mir bereits im Alter von 11 bis 12 Jahren ein. Die klassischen Zöliakie-Symptome wie ständige Verdauungsbeschwerden, vorgewölbter Bauch, Infektanfälligkeit, bleierne Müdigkeit und viele weitere Vitamin- und Mineralstoffmangelerscheinungen begleiteten mich also gut zehn Jahre. Ebenso lange war ich Stammgast bei meiner damaligen Hausärztin sowie bei weiteren Ärzten und Heilpraktikern. Während dieser Zeit erhielt ich unzählige Fehldiagnosen, unter anderem wurde eine Appendektomie durchgeführt, welche sich bereits am nächsten Tag als Falschtherapie entpuppte, denn die Bauchschmerzen waren die gleichen wie vor der Blinddarmoperation! Von einer Candida-Überbesiedelung bis hin zu psychischen Störungen hörte ich so manche Diagnose, welche sich im Laufe der Zeit wieder als unzutreffend erwies. Diese zehn Jahre der Ungewissheit erlebte ich als sehr anstrengend, meine Lebensenergie und Unbeschwertheit verließen mich zunehmend. Arbeitstage konnte ich mit letzter Kraft bewältigen, aber für Hobbys und Freizeitbeschäftigungen fehlte mir jegliche Kraft. Bereits alltägliche, normale Dinge, wie zum Beispiel ein Gespräch nach der Arbeit im Kreis meiner Lieben, glich einem Kraftakt, der für mich kaum zu bewältigen war. Ich war erschöpft, kraftlos und eine bleierne Müdigkeit hatte mich völlig im Griff! Die ständigen Verdauungsbeschwerden und Schmerzen setzten mir körperlich und psychisch extrem zu.

Im Sommer 2000 erhielt ich endlich die erlösende Diagnose Zöliakie. Dafür bin ich dem mich damals behandelnden Notarzt, ein bei uns am Ort neuansässiger Internist, noch heute unendlich dankbar. Mittels Biopsie wurde die Zöliakie bestätigt und mit der Überweisung zur Ernährungsberatung und dem Hinweis, dass ich nun kein Mehl mehr essen dürfe, verließ ich die Praxis. So ging ich schnurstracks in die nächste Bäckerei, kaufte mir ein Stück Käsekuchen, aß aber nur den oberen Teil, denn ich sollte ja lediglich kein Mehl essen! Ein No-Go bei Zöliakie, wie sich später herausstellte!

Die Lettenmühle im Jahre 1972

Zöliakie – und nun?
Nach den vielen Fehldiagnosen der vergangenen zehn Jahre mochte ich nun gerne glauben, der Auslöser für meine gesundheitlichen Beschwerden sei gefunden. Außerdem war ich der festen Annahme, Medikamente würden nun meinen Körper heilen. Mit der Aussage, dass ich kein Mehl mehr essen darf, konnte ich vorerst nichts anfangen. Noch gut kann ich mich an das fassungslose Gesicht meines lieben Vaters erinnern, als ich zu Hause erzählte, ich würde gesund werden, wenn ich kein Mehl mehr äße! „Nein, mein Produkt macht keinen Menschen derart krank!“, rief er entsetzt. Ich muss dazu anmerken, dass mein Vater Müller aus Leib und Seele war und ich eine Müllerstochter bin! Jahrzehntelang wurde im heimischen Betrieb Mehl in glutenhaltiger Form hergestellt.

Einige Tage später fand ich mich bei der Ernährungsberatung ein. Die Dame schlug ihren Ordner auf und drückte mir einen Zettel in die Hand, auf dem stand, welche Produkte glutenhaltig sind und glutenhaltig sein können. Zusätzlich gab sie mir noch die Adresse der Deutschen Zöliakiegesellschaft (DZG) und einige Herstelleradressen. Völlig geschockt und zutiefst traurig versuchte ich, all diese Informationen zu verinnerlichen. Ich konnte sie jedoch nicht einordnen und verstand nicht, was ich eigentlich für eine Erkrankung habe. Dazu hatte ich keinen Plan, was ich überhaupt noch essen darf. So meldete ich mich deshalb bei der DZG an und erhielt umfangreiches Informationsmaterial, das ich begierig aufsaugte. Ich kann mich noch sehr gut an diese Zeit erinnern, denn ich koche, backe und esse für mein Leben gerne und nun konnte ich nicht mal einen Joghurt kaufen, ohne zu wissen, ob ich diesen überhaupt essen darf. Damals gab es in Deutschland keine Deklarationspflicht und man konnte nur mit den Lebensmittelbüchern der DZG einen gesicherten Einkauf glutenfreier Lebensmittel vornehmen. Es war wirklich sehr mühselig und ich verbrachte meist Stunden mit dem Buch in der Hand im Supermarkt. Noch gut kann ich mich an eine Situation erinnern, als mich eine Angestellte im Supermarkt ansprach, ob ich von der Lebensmittelbehörde sei! Nein, lustig war es nicht, eher im Gegenteil! Die Ernährungsumstellung verlangte mir damals viel ab und Produkte wie glutenfreie Tiefkühlpizza, Waffeleis oder Fischstäbchen waren undenkbar! Restaurantbesuche, Ausflüge und Urlaube waren für mich Stress pur! Ich war es leid, mich ständig erklären zu müssen, und so kamen für mich nur noch Urlaube in Ferienwohnungen mit eigener Verpflegung in Frage.

Die große Hürde: Das glutenfreie Backen
Und als hätte das alles nicht schon gereicht, stellte sich noch eine ganz besonders große Hürde in den Weg, nämlich das glutenfreie Backen! Welch positive Eigenschaft Gluten hat, merkt man in der Tat erst, wenn man es nicht mehr verwenden darf, und dies musste ich lange Zeit leidvoll feststellen. Meinen ersten Kuchen, einen Marmorkuchen, stellte ich völlig unbedarft nach dem Rezept meiner Großmutter her, und tauschte den glutenhaltigen Weizenmehlanteil durch Maismehl aus. Ich muss euch nicht erzählen, wie schrecklich das Backergebnis war! Die Brösel blieben einem derart im Halse stecken und sie wollten selbst mit viel Flüssigkeit nicht hinunterrutschen. Ich war total entsetzt, meine Familie übrigens auch, und ich wusste einfach nicht, was ich falsch gemacht hatte. Ich hatte den Kuchen doch nach Rezept zubereitet!
Und so begannen die Monate der staubtrockenen Brötchen, die kleinen Wurfgeschossen ähnelten, der Brote, die wohl eher als Backsteine dienten, und der Kuchen, die so bröselig und trocken waren, dass die Brösel an Sandkörner erinnerten! Monatelang backte ich nur für den Mülleimer und war enttäuscht und traurig. Damals gab es so gut wie keine Informationen über die Eigenschaften der glutenfreien Mehle und ich fühlte mich mit meiner Erkrankung alleine auf weiter Flur.

Die Auswahl an glutenfreien Produkten war vor 20 Jahren noch äußerst überschaubar, im nächsten Reformhaus gab es lediglich zwei kleine Regalbretter mit einem kleinen Sortiment. Ich werde wohl nie vergessen, wie die Aprikosen- und Himbeerkekse, die eine Sorte Nudeln und die kompakten Brotscheiben schmeckten, nämlich nicht wirklich gut! Auch die Auswahl an glutenfreien Mehlen war minimal, von einer Bandbreite an Mehlmischungen und Bindemitteln wie heute ganz zu schweigen. Damals ernährte ich mich überwiegend von Kartoffeln, Reis, Gemüse und Fleisch. Nach einer Weile entdeckte ich die glutenfreien Brote von Hammermühle und somit war das Pausenbrot für die Arbeit gesichert. Tolle glutenfreie Brote selbst herzustellen, blieb mir damals verwehrt! An mein erstes selbst gebackenes Brot erinnere ich mich mit Grauen! Es war optisch von einem Zitronenkuchen nicht zu unterscheiden, aber es gelang auch mit Mühe und Elan nicht, formstabile Brotscheiben abzuschneiden. Die abgeschnittenen Brocken fixierte ich mit viel Butter zu einem Rechteck, belegte sie mit Wurst und drückte weitere Brotbrocken als „zweite Scheibe“ obendrauf! Der Kommentar einer damaligen Arbeitskollegin: Unsere Tanja isst immer Zitronenkuchen mit Wurst! Was die Ernährung anbelangt, war das wirklich eine einschneidende, unangenehme und geschmacklose Zeit, die ich so nicht mehr erleben möchte!

Apfel-Kastenkuchen

Rückblickend kann ich sagen, hätte es damals die Möglichkeit gegeben, solche Backwaren herzustellen, wie es heute möglich ist, hätte die Zöliakie eine weitaus geringere Bedeutung für mich gehabt! Mit dem Bewusstsein, die glutenfreie Ernährung ein Leben lang „durchhalten“ zu müssen, testete ich immerzu Rezepte, bis dabei Backwaren herauskamen, die mir zum Teil Freudentränen bescherten! Mein allererster gelungener glutenfreier Kuchen ist übrigens der Apfel-Kastenkuchen und ich bereite den saftigen Kuchen immer wieder gerne zu. Auch heute freue ich mich über jedes gelungene Rezept wie ein kleines Kind und bin dankbar dafür, dass mich die Motivation nie verlassen hat! Ich kann euch aber versichern, es war in der Tat nicht einfach, und häufig saß ich grübelnd in meiner Küche, notierte die zigste Rezeptänderung, um beim nächsten Versuch wieder tief enttäuscht nochmals von vorne zu beginnen.

Beim Kinder-Plätzchenbackkurs

20 Jahre Zöliakie
Ein Spruch begleitet mich seit langer Zeit: Alles Schlechte hat sein Gutes. Auch wenn es mir zum Zeitpunkt meiner Diagnose und auch einige Zeit danach nicht bewusst war, so wage ich es heute, nach 20 Jahren, zu sagen: Ich bin dankbar für alles, was ich während der unentdeckten Zöliakie erleben musste, und auch für die Erfahrungen nach der Diagnosestellung! Vielleicht klingt es merkwürdig, aber mit den durch die Zöliakie entstandenen vielen Rezeptentwicklungen lasse ich andere Betroffene mit unendlich großer Freude teilhaben an meiner Erfahrung. Es ist mir eine absolute Herzensangelegenheit, Wege aufzuzeigen, um in den Genuss von köstlichen glutenfreien Backwaren zu gelangen. Durch meine Rezeptentwicklungen, Videos und Kurse möchte ich Betroffenen helfen, einen leichteren Einstig in die glutenfreie Bäckerei zu finden. Im Laufe der Jahre erreichten mich Tausende freundliche und positive Rückmeldungen von Zöliakiebetroffenen, die mich immer wieder sehr bewegten und berührten! Im letzten Kinder-Plätzchenbackkurs stand am Kursende ein kleines Mädel vor mir und meinte mit großen, glückseligen Augen: „Tanja, dass ich heute bei Dir sein durfte, war mein schönstes Weihnachtsgeschenk!“. Die Aussage überwältigte mich derart, dass mir sogleich Freudentränen in die Augen schossen und ich kaum noch ein Wort sagen konnte!

Nicht nur im privaten Bereich bestimmt das Thema glutenfreie Ernährung meinen Alltag, auch beruflich. Seit 2009 führe ich im mittelfränkischen Herrieden ein kleines Ladengeschäft mit ausschließlich glutenfreien Produkten. Im Jahre 2011 startete ich meine Rezepteseite, welche mittlerweile zu den bekanntesten Rezeptseiten für glutenfreie Speisen im deutschsprachigen Raum zählt. Unter der Marke „Tanjas glutenfrei“ sind meine liebsten Rezepturen für Brötchen und Brezen, Land- und Schwarzbrot als Backmischungen erhältlich, und im September 2020 erscheint mein fünftes Buch mit dem Titel „Glutenfreie Weihnachtsbäckerei“.

In diesem Sinne wünsche ich euch weiterhin viel Freude mit meinen Rezepten, und sollte ein Rezept nicht auf Anhieb gelingen, denkt immer daran, auch das Backen glutenhaltiger Kuchen und Brote musste erlernt werden! Haltet euch genau an die Rezeptdetails, probiert es aus und erlebt großartige Genussmomente mit köstlichen, selbst gebackenen glutenfreien Backwaren!

Eure Tanja

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